Wenn der Chat zum Tatort wird
Sexuelle Belästigung im Internet
Der ältere Mann mit pädophiler Neigung ist irgendwo da draußen im virtuellen Raum. In einer anderen Stadt, hunderte Kilometer entfernt. Und doch ist er ganz nah bei Mia im Kinderzimmer. Sie besitzt ein Smartphone und chattet seit einigen Tagen regelmäßig mit ihm. Nichtsahnend, dass es sich gar nicht um den gleichaltrigen Lukas handelt, der sie vor einigen Tagen beim Spielen eines Online-Games angeschrieben hat. Nichtsahnend, dass er sie demnächst nach Nacktbildern fragen wird.
Cybergrooming nennt sich die Masche, die das gezielte Anbahnen sexueller Kontakte mit Minderjährigen umschreibt und die der Polizei seit Jahren bekannt ist. „Die Täter setzen auf die Anonymität des Internets und die Leichtgläubigkeit ihrer Opfer“, erklärt Niklas Siegenthaler, Opferschutzbeauftragter der hessischen Polizei.
Erst Verständnis, dann sexuelle Belästigung
Die potenziellen Täter gehen fast immer nach demselben Muster vor: Sie legen sich bei Online-Communities, in denen Kinder und Jugendliche unterwegs sind, gefälschte Profile an, geben sich als Gleichaltrige aus und nehmen Kontakt zu möglichen Opfern auf. Sie versuchen, die Kinder- und Jugendlichen weg von der Plattform in einen privaten Chat zu bewegen. Hintergrund: Dort gibt es keinen Seitenbetreiber mehr, die Kommunikation ist verschlüsselt, man bleibt noch anonymer.
Die mutmaßlichen Täter verteilen Komplimente, zeigen sich interessiert und verständnisvoll, bauen Vertrauen auf. Irgendwann beginnen sie damit, die Kinder und Jugendlichen zu belästigen. Die Spannbreite reicht von Fragen nach deren sexuellen Erfahrungen, über die Aufforderung, Nacktbilder zu senden bis hin zu Webcam-Chats, in denen es zu sexuellen Handlungen kommt. Auch Aufforderungen, sich persönlich zu treffen, kommen vor. Nicht immer trauen sich die Opfer, Nein zu sagen oder den Chat abzubrechen. Niklas Siegenthaler: „Etwa, weil sie mit bereits gesendeten freizügigen Fotos oder Videos erpresst werden.“
Dass Kinder online sexuell belästigt werden, ist kein Einzelfall. „Das Dunkelfeld im Bereich Cybergrooming ist groß“, sagt Niklas Siegenthaler. Die Erfahrungen der Polizei zeigen, dass die Täter oft zeitgleich mit mehreren potenziellen Opfern chatten. Und, dass viele Fälle gar nicht erst zur Anzeige kommen. „Die Opfer schweigen. Sie schämen sich - auch vor ihren Eltern“, weiß der Polizeioberkommissar.
Was das Aufkommen des Phänomens verschärft: Schon junge Kinder sind häufig regelmäßig digital unterwegs, besitzen ein eigenes Smartphone. Hinzu kommt: „Die meisten Smartphones haben eine gute Kamera, eignen sich daher für Live-Chats“, sagt der Opferschutzbeauftragte. Gute Bedingungen also für potenzielle Täter, die nicht zwingend erwachsen sein müssen. Niklas Siegenthaler: „Nicht selten handelt es sich bei Verdächtigen um Kinder oder Jugendliche.“
Tipps zum sicheren Surfen und Chatten
Die Polizei rät zur Vorsicht und zur Datensparsamkeit. „Eltern sollten ihre Kinder in der digitalen Welt nicht allein lassen.“ Vielmehr ist es sinnvoll, gemeinsam geeignete und altersangepasste Internetangebote auszusuchen. Der Fachmann empfiehlt: „Man kann das Kind beim Surfen begleiten und einen verantwortungsvollen Umgang mit Fotos und Videos besprechen.“ Auch Privatsphäreeinstellungen sollten gemeinsam durchgegangen, erklärt und regelmäßig kontrolliert werden.
Damit es gar nicht erst soweit kommt, dass Kinder Opfer werden, sollten Eltern ihren Nachwuchs über Gefahren im Internet aufklären und Sicherheitsregeln vereinbaren. Etwa, sich niemals mit Fremden zu treffen. Oder zu hinterfragen, ob man den Chatpartner wirklich kennt. „Bekommt man eine unangenehme Anfrage, sollte man den Absender blockieren“, rät Niklas Siegenthaler. Erwachsene können ebenfalls etwas tun, um die Sicherheit ihrer Kinder im Netz zu erhöhen: Sie sollten darauf achten, welche Bilder sie selbst von sich und ihren Kindern ins Netz stellen.
Doch was tun, wenn es bereits zu spät und der Chat zum Tatort geworden ist? „Für unsere Arbeit ist es wichtig, dass die Verläufe gesichert sind“, sagt der Polizist. Ideal ist es, Screenshots von allem anzufertigen, was zur Identifikation des Tatverdächtigen beitragen kann, etwa von dessen Profilbild oder persönlichen Angaben. Die Betreiber der Plattform, auf der das Opfer angeschrieben wurde, sollte zudem auf den Belästiger hingewiesen werden. Cybergrooming ist bei unter Vierzehnjährigen strafbar. Anzeigen werden von der Polizei konsequent verfolgt.